Freitag, 22. August 2014

17.8.2014 Reisebericht Andreas



17.08.2014
Ja, so ist das Leben! Ein Tag kommt, ein anderer geht – einer ist mies, der andere gut. Was sich hier wie die Lebensweisheit eines alternden Mannes anhört (und zweifellos die Voraussetzungen dafür aufweist), ist doch nur das Ergebnis der Rückschau auf diesen Sonntag. Nach 9 Stunden Schlaf lag die Krankheit doch schon hinter mir. Mein Magen-Darm-Trakt kann diese Meinung zwar noch nicht teilen, aber wozu gibt es den medizinischen Korken namens Immodium akut?
In einer wundervollen Luft, obwohl es noch immer nicht geregnet hat, ging es über die wundervolle Landstraße am wundervollen Meer entlang nach Bellanger. Auch Guerino hatte dazugelernt und rief den Pastor an, ob es bei der Verabredung um 10 Uhr bleibe. Ja, er sei vor Ort, müsse dann aber noch die Messe lesen. Da Guerino um 13:00 bereits wieder einen Termin in PaP hatte, schwante mir schon, dass das Gespräch mit Père Gilbert wohl von nicht allzu langer Dauer sein könnte. Auch das beschwingte meinen Geist.
An der Schule angekommen stellten wir fest, dass es des Pères gar nicht gebraucht hätte, weil das Tor offen und der halbe Schulhof mit Menschen voll war. Natürlich, die Kapelle befindet sich ja auf dem Schulgelände. Wir waren etwas spät und die Messe hat längst begonnen, dennoch lief Père Gilbert wohl zwischen Lesung und Evangelium auf den Schulhof, um „l'ingénieur“ und mich bekümmert zu begrüßen und uns sogleich zu klagen, dass sie ein großes Problem hätten: Die Schulbücher seien gestohlen worden, dazu viele Papiere und Geld. Nun haben wir ja von der Schule verlangt, dass die Schulbücher abgeschlossen im Direktorenhaus unterzubringen seien, wer mit irgendwelchen Verwaltungspapieren etwas anfangen will, bleibt mir ein Rätsel und Geld – so Père Gilbert zu anderen Gelegenheiten – haben sie ja sowieso nicht. Blieb für mich nur ein Drittel des Problems. Ich fragte also nach den Schulbüchern und warum diese nicht unter Verschluss gewesen seien (mittlerweile bin ich so geübt, dass ich mitgekriegt habe, dass Guerino das völlig korrekt übersetzt hat). Es habe wohl irgendjemand den Schlüssel dazu gehabt und er müsse jetzt wieder zurück zum Gottesdienst. Kurz nachdem er enteilt war – er spendete übrigens im Laufen noch einer älteren Dame die Absolution! - begann die Gemeinde mit einem Halleluja-Gesang, in den ich freudig einstimmte. Das Schulgelände ist wirklich hübsch geworden, in der Mitte ein Bolzplatz, am Rand das betonierte Basketballfeld, die Spielgeräte und ganz viele neue Pflanzen.
Wir setzten uns in aller Ruhe in den Schatten auf die Mauern der Ruine, der Wind zog sacht vom Meer her, Schmetterlinge schwebten um uns her (na ja, eigentlich nur einer, aber der war wirklich schön, zumindest schien er zu schweben) – es war richtig angenehm und friedlich, so dass wir beschlossen, nicht auf den Pfarrer zu warten, sondern unseren Tag anderenorts weiter zu verleben. Dass unser Auto mittlerweile eingeparkt war, empfinde ich nicht als Strafe Gottes, hat er mir doch zwei Arme gegeben, um ein Motorrad umzustellen und den Allradantrieb, um den Weg über eine Grünfläche zu nehmen.
Guerino hatte zwischendurch mit seiner Schwester telefoniert, die mich zum Essen einlud. Das war doch mal ein Höhepunkt! Dankend nahm ich an, mir war es egal, ob das gegebenenfalls als unhöflich gelten könnte, sich nicht zunächst zu zieren und sich dann überreden zu lassen – die Gefahr war zu groß, dass er mich nicht versuchen könnte zu überreden. Völlig ohne kleine Gastgeschenke – die lagen im Hotel – platzten wir also in sein Zuhause. Seine Mutter (sein Vater ist schon länger tot) hat es für die Kinder gebaut, im Erdbeben wurde es zerstört, aber wieder von den Kindern aufgebaut. Die Mutter starb später, und nun wohnen, wenn ich richtig mitzählen konnte, zwei seiner Schwestern, ein Schwager ein Cousin, sein Bruder (uns bestens als Benson bekannt) mindestens zwei Nichten unter schätzungsweise 6 Jahren, mindestens ein Neffe um die 10 Jahre und noch ein Junge in dem Alter, dessen verwandtschaftliche Beziehung ich aber nicht herauskriegen konnte.
Drei Zimmer sind es und eine Art Wohnküche, unverputzte Wände, Betonboden. Einfachst wie nur denkbar, zerrissene, aber geschickt dekorierte Vorhänge. Jeder hat irgendwie ein Bett (außer den Kleinen), was zu einer unbeschreiblichen Enge führt. Dahinter noch drei kleine, eigentlich fertige Räume und eine provisorische Toilette, aber alles ohne Dach. Warum? Kein Geld – das würde etwa 2500 US$ kosten, die könne er sich nicht leisten. Eine „Komforttoilette“ (seine Worte) sei auch geplant. Bislang ist es nur eine Betonröhre, die aus der Erde ragt und über einem Loch steht, welches mit irgendeiner Grube verbunden ist. Da das Ganze mit einem Abluftrohr versehen ist, welches Unterdruck erzeugt, riecht es überhaupt nicht. Hat mal jemand 2500 Euro?
Was gab es wohl zu essen? Na klar: Cabrit en sauce mit Reis! Ich gebe ja zu, dass es immer etwas anders schmeckt, aber Ziege bleibt Ziege, die braune Sauce unterscheidet sich höchstens in der Schärfe und der Reis – nun gut, meist mit Bohnen, manchmal mit Erbsen, auch dünne Paprikastreifen machen sich gut. Zweimal habe ich das Cabrit auch schon mit einer Art Spinat gegessen und heute haben zur Abwechslung die frittierten Bananenscheiben gefehlt.
Bitte nicht glauben, ich sei ja so undankbar – das bin ich überhaupt nicht. Ich war sogar sehr dankbar, lange hatte ich gewünscht, mal eine Hütte („ma maison!“) betreten zu dürfen, von so herzlichem Empfang und Essen hätte ich nicht zu träumen gewagt!
Aber ich habe doch langsam den Eindruck, dass es vergebliche Liebesmüh ist, ein haitianisches Kochbuch zusammenzustellen – es passt vermutlich auf den bekannten merz'schen Bierdeckel. Ich meine ein echtes, wirkliches haitianisches Kochbuch, nicht eines, dass den Essgewohnheiten der Upperclass entspricht. Natürlich – im „la maison“, wo ich mit dem Komitee war, bekam ich „poulet en sauce haitienne“. Mit einem Löffel voll Kartoffelsalat, original deutsch. Das poulet war von der Größe her vermutlich eine Wachtel oder gar ein Zaunkönig. Aber dafür gab es genug Reis.
Überhaupt das „la maison“(am Vortag mit dem Komité zum Essen): Das Haus selber ist sehr schön gestaltet, mit Grünflächen im Innenhof und Plätzen draußen, wobei man beim Einparken vorsichtig sein muss, damit man nicht einem Gast mit dem Außenspiegel das Glas aus der Hand schlägt. Das Personal aber ist einsame Spitze: Es vermittelt einem überzeugend den Eindruck, dass man in diesem Haus geduldet ist. Das ist ja schon eine Menge - bei mancher Kölner Kneipe würde man es sich wünschen. Aber als ich nach dem Essen noch einen „juice des fruits au lait“ bestellte (eine witzige Kombination, es scheint nur etwas Milch in den Fruchtsaft gemixt zu sein, probiere ich direkt zu Hause), lachte der Ober laut auf, sagte „non!“ und ging weg! Ich war völlig geplättet. Ziemlich wütend zitierte ich ihn erneut zu mir und fragte, was er mir den sonst bringen könne (in meinem Französisch klingt das allerdings eher wie: „ich will trinken!“). Ich entschied mich dann für ein „seven up“ und als dieses Getränk kam, traute ich meinen Augen nicht: In diesem auf Fein gemachten Lokal servierte man mir eine dezent mit einer Serviette – Papierserviette! - ummantelte Dose mit Strohhalm. Aber ich glaube, jetzt bin ich ein bisschen weit weg vom heutigen Tag.
Jedenfalls war es bei Guerino und Benson zu Hause wirklich herzlich, es war ein für mich wesentliches Erlebnis und es hat bei mir auch manche negativ-romantische Vorstellung vom Leben in dieser Art Unterkunft, die wir vermutlich unwissend als Slum bezeichnen könnten, korrigiert. Natürlich möchte ich nicht so leben, nicht einmal für kurze Zeit und ein bisschen Bewunderung für meine Luxus gewohnte Tochter, die das 3 Monate gemacht hat, habe ich nach wie vor. Aber von der Würde, von der Unbeschwertheit, von dem Stolz und der – zumindest nach außen gezeigten – Zufriedenheit könnten wir uns das eine oder andere Stück abschneiden.
Dann war ich also wieder im Hotel, wollte aber ungern den ganzen Nachmittag ohne meine(n) Babysitter im Hotelgefängnis verstreichen lassen. Ich ging also ein wenig in den umliegenden Straßen spazieren, eng bebaut und ähnlich dem Viertel, in dem Guerino lebt. Ein wenig Angst hatte ich schon, nach außen kühl und unbeteiligt. Unwahrscheinlich, wie viele Menschen mich immer wieder freundlich ansprachen („pas de kreol – excusez!“), selten habe ich so bedauert, in der Schule das Französisch nur „comme il faut“ und das Kreol nachvollziehbarerweise gar nicht gelernt zu haben. Jedenfalls war die Furcht ziemlich schnell verschwunden, ein ziemlich lustiges, vermutlich 10-jähriges Mädchen habe ich sogar fotografieren dürfen.
Nun sitze ich zufrieden auf meinem Bett und schreibe diesen Bericht. Etwas lang und eigentlich auch weitgehend ohne Inhalt, aber ihr seid ja nicht gezwungen zu lesen. Aber ich muss halt irgendwie meine Erlebnisse loswerden, und ins Kissen zu heulen habe ich keine Lust.
Mal sehen, was morgen alles passiert.
Liebe Grüße, Andreas

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