Sonntag, 24. August 2014

20.8.2014 Reisebericht Andreas


20.08.14
Der gestrige Nachmittag fing mit einem Besuch beim Vermesser an. Schließlich gibt es immer noch keinen (lebenden) Notar in Maissade. Der Vermesser ist ein sehr netter und charismatischer Typ, dem man anmerkt, wie gerne er sich sprechen hört. Er wohnt in einem der typischen Häuser in Maissade, einfachst und unordentlich, im Wohnzimmer stapelten sich hinter einem Motorrad Unmengen von Särgen, wobei ich inständig hoffte, dass sie nicht schon bewohnt waren. Ein ähnliches Bild habe ich schon einmal in den Nosferatu-Verfilmungen gesehen, der Vampir braucht ja bekanntlich reichlich Heimaterde, um sich darin tagsüber zur Ruhe zu begeben.
Für unser Problem (die Verkäufer möchten gerne das Restgeld, aber es gibt keinen Notar, der das abwickelt) gibt es drei Lösungen: Warten, bis ein neuer Notar ernannt ist – aber so lange hängen Käufer und Verkäufer in der Luft, 2. dem Vermesser vertrauen und alles bezahlen – aber da kann man ganz gut über den Tisch gezogen werden, oder drittens einen anderen Notar außerhalb Maissades nehmen, aber der kennt die örtlichen Begebenheiten, die Verhandlungen, die Leute nicht. Das Problem bleibt, noch wissen wir nicht, wie wir entscheiden sollen.
Wieder auf dem Grundstück angekommen, haben wir uns auf einen Ort für die drei Schulgebäude geeinigt, auch wenn wir erst mit einem beginnen wollen, so werden wir doch schon die Bäume pflanzen, die später die Gebäude beschatten sollen. Zudem bekommt man bei den abgespannten Flächen ein wunderbares Gefühl für die Größe. Auch den Kindergarten begannen wir zu vermessen, die Choucounettes haben wir zunächst mit 6 Metern Durchmesser geplant, später aber gemerkt, dass das nicht reichen wird.
Etwa 3 km weiter von unserem Grundstück Richtung Wildnis ist, wie wir gehört haben, eine Dispensière (Ambulanz), besetzt mit einer Schwester und bezahlt von USAID. Da unser bisheriger Wunschpartner wenig von dem erfüllen will, was wir erwarten und nun wegen einer fehlenden Arbeitserlaubnis (die wir besorgen sollten, wozu wir aber gar nicht befähigt sind) auch im November nicht in der Lage sein wird, für uns den medizinischen Bedarf zu eruieren, wollten wir dort fragen, in wie fern eine Dispensière auf unserem Grundstück überhaupt sinnvoll ist. Die Schwester machte uns klar, dass sie viel zu tun habe, die „richtigen“ Krankheiten auch sofort nach Maissade bringen lassen würde und nur die einfachen Untersuchungen und Versorgungen übernehmen würde. Die Dispensaire war richtig nach unserem Geschmack, auch wenn die Laufwege und Abläufe selbst nicht optimal organisiert scheinen. Wir fragen uns jetzt, ob eine Ambulanz, in den Ausmaßen, wie wir sie geplant hatten, überhaupt notwendig und sinnvoll ist. Wir werden aber sicherlich an unserer Idee, in Schule und Kindergarten medizinisch und hygienisch zu arbeiten und zu schulen, festhalten. Darüber wird noch bei mancher Vorstandsitzung zu diskutieren sein.
Abends im „Hotel“: Wie gewohnt kein Wasser, auch kein Essen, wir ernähren uns von harten Eiern, besonnen ein paar für den nächsten Tag aufhebend, was sich aber als ziemlich dumm erwies, weil sie am nächsten Tag keinen Vertrauen erweckenden Geruch mehr ausströmten. Ein Gefühl, den ganzen Tag über maßlos geschwitzt zu haben, zu kleben, vermutlich auch zu riechen, körperlich fix und fertig von der Hitze, von weiten Ausflügen über das Gelände und von hitzigen Gesprächen – alles das führt nicht zu einem erholsamen Schlaf. Und wenn dann auch noch der Strom ausgeht, also nicht einmal ein Ventilator die beißende, heiße Luft durchquirlt, dann wacht man eben am nächsten Morgen mit einem dicken Kopf auf. Aber immerhin: aufgewacht bin ich – bei dieser Situation darf man auch mal fragen: Herz, was willst du mehr?

Am Abend zuvor hatten wir noch Brunnenbohrer angerufen, die direkt heute auf das Grundstück kommen wollten,wir waren schon um 7 draußen – so spät, weil noch andere Dinge im Haus geregelt werden mussten und bereits so früh Termine abgesprochen wurden. Guivens hatte sich um die Mittagszeit angekündigt und war immer noch in PaP unterwegs, um Material und für uns Trinkwasser zu besorgen. Auch so ein hübscher Zug dieses Ortes: Man kann hier kein Trinkwasser kaufen – Bier einmal ausgenommen.
Die Brunnenbohrer kamen, der Hauptverantwortliche setzte sich mit uns auseinander, sprach dabei in Ton und Geschwindigkeit, dass man gerne mit ihm eingeschlafen wäre – was so gar nicht zu seinem übrigen Auftreten passte. Der andere stand stumm dabei. Sein Auftritt kam, als nach Wasser gesucht wurde: Er lieh sich von den schon zu dieser frühen Stunde in reichlicher Stückzahl vertretenen Zuschauern (wenn ich schon nichts zu tun habe, dann schlafe ich doch wenigstens aus!) eine Machete, suchte sich einen geeigneten Baum aus, sprach mit ihm wohl auch und hieb gekonnt eine Astgabel ab. Diese in der bekannt theatralischen Art über dem Kopf haltend schritt er mit geschlossenen Augen, aber dennoch durchbohrendem Blick und schmerzerfülltem Gesicht über das Grundstück. Mit einem Male, als das Gesicht schon selbst für den hart gesotteten Zuschauer zu leidend wurde, warf sich die Astgabel förmlich gegen den Boden, dass mein Blick unwillkürlich nach unten gezogen wurde, um mich zu vergewissern, ob er nicht bereits nasse Schuhe hatte, so weit oben musste hier das Grundwasser sein! Aber was soll's, die beiden sind von einer renommierten Firma, die ständig erfolgreich Brunnen bohrt und also Wasser findet. Leider schien uns die Stelle nicht nahe genug an unserer geplanten Basis-Station, weswegen wir ihn baten, nochmals loszugehen (außerdem war der Anblick einfach köstlich). Er fand auch nochmals Wasser, nur nicht mehr so überzeugend und meinte auch, es würde sich hier lohnen zu bohren, der andere Platz sei aber besser.
Anschließend haben wir noch die Abspannung des Kindergartens auf 8 Meter Durchmesser vergrößert. Dann sind wir die Grenzen abgegangen, um den Verlauf des Zaunes festzulegen. Die einfachen Grenzen haben wir ja schon am ersten Tag erkundet, jetzt ging es in die Reisfelder und runter zum Flüsschen. Direkt am Hauptweg steht ein halbhoher Baum mit gelben, pflaumengroßen Früchten. Ein Nachbar stieg sofort herauf, um uns die Früchte zu ernten: Sie hatten eine ungenießbare Schale, viel Saft, einen Riesenkern und überhaupt kein Fruchtfleisch. Der erste Biss schmeckte nach Stachelbeere, der zweite nach Limone, zusammen ein eigenartiges, leckeres Erlebnis! Jetzt müssen wir nur noch herauskriegen, wie die Frucht heißt.
(Gerade sagt uns Guerino, dass Baum und Frucht auf den Namen Sewèl hören!)
Die Wanderung am Fluss entlang, den Abhang herauf und herunter war ein Erlebnis: immer wieder neue Perspektiven, immer wieder andere Ansichten, Bambus, Palmen, Regenwald und Tiroler Alm, alles ist vertreten. Wir werden den Zaun, der unser Grundstück umgibt, nicht an den Flussrand setzen, sondern gehörig weit davon entfernt, damit wir diese Idylle nicht stören!
Mittags Termin beim Bürgermeister. Antrittsbesuch. Wir kommen in sein Dienstzimmer, etwa 25 qm groß, darinnen: ein Tisch (altes Lehrerpult). Nein, sonst nichts. Na ja, das Fenster. Also eigentlich kein Fenster, sondern ein Loch in der Wand, aber durchaus fensterförmig. Draußen, unter einem Baum, stehen ein paar Stühle, leider nicht genug, Der Bürgermeister und Roswitha nehmen auf dem Tisch Platz, Farah auf einem alten Schlagzeughocker und ich hätte auch lieber gestanden.
Der Bürgermeister ist ein sich recht volksnah gebender, jovialer Mensch, der uns sofort seine Hilfe anbot, wobei wir vom Vermesser gehört haben, dass er um die schnelle Bearbeitung jedes Papiers kämpfen musste. Zum einen weiß man natürlich nicht, wer hier wen ausspielt, zum anderen frage ich mich, wo bitte der Bürgermeister irgendetwas bearbeiten soll. Höchstens auf dem Fensterbrett.
Danach ein paar Häuser weiter, ausgerechnet zu der Hütte, an der wir am ersten Abend Berührung mit dem Volk hatten! Im Hinterhof eine Art Restaurant, man geht durch die typische haitianische Küche (zwei schwarze Töpfe über Holzkohlefeuer). Vorne die Bar und eine „Bank“(Lotto und Wetten) und – man mag sich schon wundern, warum wir dieses Etablissement aufsuchen – die höchst offizielle Vertretung der „Dinepa“, der haitischen Wasserwerke. Da unweit unseres Grundstücks die Trinkwasserleitung nach Maissade führt, wollen wir uns um eine Anbindung kümmern, als Alternative zur Brunnenbohrung und um unsere Wasserversorgung zu garantieren. Der Antrag kostet 500 Gourdes, die Techniker, die bereits am Nachmittag zu uns kamen, kriegten Geld für das Mototaxi, wie vor ihnen schon die Brunnenbohrer, dafür ist hier der Auftraggeber zuständig. Auf den Knien, im Gras sitzend, dann gleich der Kostenvoranschlag: Für den Anschluss über etwa 80 Meter zahlen wir 9350 haitianische Dollar, also etwa 950 €. Dazu im Monat 100 Gourdes Wassergeld, also etwa 1,60 €. Wir sollten uns überlegen, gleich für die nächsten 20 Jahre zu zahlen...
Heute Abend haben wir die Rechnung bezahlt, morgen Abend sind wir an das Wassernetz angeschlossen! Das möchte ich mal in der sogenannten zivilisierten Welt erleben! Wenn wenigstens so schnell ein Zahnarzttermin zu bekommen wäre!
Schließlich fanden wir noch die Zeit, den Zaun zu Ende zu planen und in dessen Zusammenhang auch die Basis abzustecken. Statt ein eigenes Verwalterhaus zu konzipieren, haben wir uns vor Ort entschlossen, den Haustyp „Maissade“ auch für die Unterkunft der Kindergärtnerinnenausbilderin „Farah“ zu verwenden, auch für den Verwalter, das Büro, das Vorratslager und natürlich – wie geplant – die Gästehäuser, also jene Häuser, in denen Personen, die beim Projekt helfen werden, untergebracht werden sollen.
Was gab's sonst noch?
- Schulbücher für Billiguy bezahlt,
- 24 Dutzend Obstbäume bestellt, werden in 2Wochen gepflanzt,
- Farah hat sich nach den staatlichen Genehmigungen für Schule und Kindergarten erkundigt,
- das Material für den Zaunbau steht bei Pastor Colas auf dem Grundstück, morgen beginnen wir also mit dem Zaunbau,
- um Wohnmöglichkeiten für die Arbeiter haben wir uns auch gekümmert, gerade gegenüber ist eine neue Hütte gebaut, noch keine Fenster und Türen drin, aber auf unserem Grundstück gibt es frisches Wasser – das ist schon mal mehr als in unserem Hotel!
Nach langem Kampf hat es Roswitha erreicht, das auch wir heute für einen Moment Wasser hatten. Ich jedenfalls habe alles stehen und liegen gelassen, um mich endlich unter dem dünnen Strahl der Illusion des Duschens hinzugeben! Man glaubt ja gar nicht, wie man sich danach fühlt! Und Essen haben wir auch bestellt – es gab Ziege in Sauce mit Bohnen und Reis und frittierten Bananen! Und jetzt, nach dem Abendessen und während ich diese Zeilen schreibe, kommt Guivens mit einer Flasche Bier für jeden und macht mein Glück perfekt!
Ich werde wohl diese Nacht besser schlafen ...
Andreas

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